Gregor Horvath, Ing.

Industrieberatung

Softwareentwicklung

Warum Schachcomputer gut und intelligente, wissensbasierte Leitstände schlecht funktionieren

Das Spiel Schach ist ein Symbol für logisches, abstraktes Denken in Reinkultur.
Die Fertigungssteuerung ist eines der größten bis heute ungelösten Probleme in der computerunterstützten Fertigungsplanung.

Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun?
Bislang wurde versucht beide Probleme mit denselben oder ähnlichen Mitteln der sogenannten 'künstlichen Intelligenz' in Computerprogrammen zu lösen.

Der Unterschied ist, dass dies beim Schachspiel weitgehend gelang, bei Leitständen jedoch nicht. Warum?
Es ist doch die Problemstellung grundsätzlich sehr ähnlich!
Nachfolgend sollen daher das Spiel 'Schach' und das Spiel 'Fertigungssteuerung' verglichen werden.

1. Ziele der Spiele

Das Endziel von Schach ist einfach: 'Schachmatt'.

Das Spiel Fertigungssteuerung ist zunächst endlos (solange geplant wird), es ist also auch kein Endziel definierbar.
Das allgemeine Ziel könnte 'ein guter Plan' lauten.
Während Schachmatt ein eindeutiger, logischer Zustand ist, ist der Begriff 'ein guter Plan'das Gegenteil davon. 'Guter Plan' wird über subjektive Einschätzungen des Planers definiert.
Ganz allgemein könnte man sagen, ein Fertigungsplan ist dann gut , wenn sein Einfluss auf das Geschehen in der Fertigung der Erwirtschaftung des Unternehmensgewinns bestmöglich dient und somit mit geringstem finanziellem Aufwand das geforderte Arbeitsergebnis erreicht wird.

Eine rechnerische Ermittlung der geplanten Verbesserung des Unternehmensgewinns erscheint jedoch aufgrund der Komplexität äußerst schwierig und ist meines Wissens nach nirgends realisiert.

Da ein Plan selten bis nie tatsächlich exakt Realität wird, ist eine abschließende Bewertung der Güte des Plans nicht möglich.

Wenn also schon eine rein rechnerische empirische Bewertung eines Planes nicht existiert, so ist auch eine solche Betrachtungsweise des Begriffs 'guter Plan' sinnlos.
Genauso wie die zukünftige Geschäftsentwicklung eines Unternehmens ist der Begriff 'guter Plan' eine subjektive, menschliche Einschätzung die sich unter Umständen auf mathematische und EDV technische objektive Berechnungen und Methoden stützen kann.
Aber die Methode kann die Einschätzung nicht ersetzten, sondern soll sie verbessern.
Schon das Ziel des Spiels 'Fertigungssteuerung' ist also im Gegenteil zum Schach ausschließlich logisch nicht leicht definierbar und daher für einen Computer nicht einfach verständlich zu machen.

2. Spielregeln

Beim Schachspiel definieren klare, logische Regeln die möglichen Züge, sie sind in jedem Schachbuch nachlesbar.
Die Regeln sind seit weit über 1000 Jahren unverändert und werden wohl auch noch weitere 1000 Jahre so bleiben
In der Fertigungssteuerung wiederum hängt die Aussage über theoretisch mögliche 'Züge' von der Definition des Begriffs 'zulässiger Plan' ab.
Diese steht in keinem Lehrbuch und es gibt auch keine allgemeingültige Aussage darüber.

Ist es z.B. zulässig einen Auftrag eine Minute zu spät einzuplanen?
Einen Bauer vier Felder ziehen zu lassen ist hingegen mit Sicherheit unzulässig.

Auf die Frage was ein zulässiger Plan ist, geben wissensbasierte Leitstände zunächst keine Antwort, und überlassen die Einstellung und Gewichtung der Spielregeln dem Benutzer.
Es wird also eine Lösung zu einer Problemstellung geboten, deren grundlegende Spielregeln offen sind.
Sie verhalten sich etwa wie ein Schachcomputer, der die prinzipielle Möglichkeit Schach zu spielen impliziert, jedoch noch keine Kenntnis über die Spielregeln und über die Bewertung von Spielstellungen hat.

Die Spielregeln der Leitstände sollen der jeweiligen innerbetrieblichen Situation angepasst werden.
Wie sich herausstellte, ist einer der Misserfolgsfaktoren in dem Scheitern eben dieser Anpassung zu sehen, weil sie zu komplex und aufwendig ist.

Wie bewertet ein menschlicher Disponent die Zulässigkeit eines Plans?

Hier könnte eine lange Liste möglicher Bedingungen angeführt werden z.B.:

3. Bewertung von Spielstellungen und Zügen

Im Schachspiel ist die Wertigkeit von Spielzügen oder Spielstellungen exakt berechenbar. Jede Figur hat in Kombination mit Ihrer Stellung eine gewisse Mächtigkeit. Die Figurenkombinationen ergeben wiederum eine Gesamtmächtigkeit der eigenen und der Stellung des Gegners.
Ziel ist bei jeder Zugentscheidung die Gesamtwertigkeit der eigenen Spielstellung entweder sofort oder in weiteren Zügen gegenüber der des Gegners zu erhöhen, ohne die Spielregeln zu verletzten.
Alle zur Berechnung notwendigen Parameter und deren Gewichtung sind eindeutig, mathematisch beschreibbar und über Jahrtausende konstant.

Während der Mensch jeden Spielzug im voraus mittels Erfahrung und Intuition bewerten kann ohne die gesamten Auswirkungen berechnen zu müssen, ist der Computer gezwungen jeden Spielzug durchzurechnen und mit anderen Möglichkeiten zu vergleichen.

Daher ist die Spielstärke eines Schachcomputers stark abhängig von der Rechenleistung der Hardware. Je mehr Spielzüge in vorgegebener Zeit bewertet und verglichen werden können, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, den besten Zug zu finden.

Wie stellt sich nun im Vergleich das Spiel 'Fertigungssteuerung' dar?

Ziel ist nach jedem 'Zug' - wie beim Schachspiel -, die Wertigkeit der Stellung zu erhöhen.
Wie kann nun ein Computer die Wertigkeit einer Plansituation errechnen?
Oder anders: Was ist ein 'besserer Plan'.
Diese Fragestellung ähnelt stark der Frage 'Was ist ein guter Plan' im Abschnitt 'Ziele der Spiele'. Alles dort gesagte gilt sinngemäß auch hier.

Wie bewertet ein menschlicher Disponent einen Plan?
Hier könnte ebenso eine fast endlose Liste möglicher Bewertungsverfahren angeführt werden, z.B.
Wissensbasierte Ansätze gehen davon aus, dass alle Parameter zuerst als Regel definiert und gewichtet werden, damit anschließend der Computer eben diese in seinen Berechnungen berücksichtigen kann. Allerdings wechseln diese Parameter und deren Gewichtung stark.

Aus einem vorigem Beispiel:

Ein Facharbeiter A soll mit schwierigen Werkstücken trainiert werden, es stellt sich aber nach dem ersten Werkstück heraus (vielleicht 2 Stunden nach der ursprünglichen Entscheidung), dass er überfordert ist, daher sollen ihm vorerst nur 'mittelschwere' Aufgaben gestellt werden.

Die Spielregeln verändern sich laufend.

Der Aufwand diese Parameter logisch zu formulieren (sofern überhaupt möglich), und immer auf dem aktuellen Stand zu halten, ist enorm.
Und genau daran scheitert die Umsetzung in der Praxis.

4. Zusammenfassung

Die Fertigungssteuerung kann als ein Schachspiel beschrieben werden, in dem sich die Spielregeln und die Bewertung guter bzw. zulässiger Stellungen laufend während des Spiels ändern und das Ziel des Spiels schwer rein logisch zu beschreiben ist.
Alle zu berücksichtigen Parameter sind im vor hinein nicht bekannt und unter Umständen logisch nicht einfach erfassbar (Gefühl, Gespür des Disponenten)

Dies sind denkbar schlechte Voraussetzungen für automatische Berechnungen, und die grundlegende Ursache für das bekannte Scheitern von wissensbasierten Ansätzen in der Fertigungssteuerung.